Stefan Hertmans Der Himmel meines Großvaters Hanser Berlin Interview Lounge Britta Behrendt Kerstin CarlstedtEine gewisse Müdigkeit stellt sich im Herbst des Erinnerungsjahres 2014 ein, wenn da noch ein Buch über den Ersten Weltkrieg erscheint. Stefan Hertmans Roman war in Belgien einer der ersten, der zu dem Thema in diesem Jahr herauskam. Es ist schade, dass die deutsche Übersetzung erst jetzt erschienen ist. Aber angesichts eines halben Lebens, das Hertman nun schon im Besitz der Aufzeichnungen seines Großvaters ist, ist „spät“ besser als nie. Kurz bevor sein Großvater starb, vermachte er seinem Enkel sein Tagebuch, das in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beginnt und kurz vor seinem Tod endet. Der Enkel brauchte drei Jahre um den richtigen Ton zu finden, um die Tagebücher herauszugeben. Er setzt mit „Der Himmel meines Großvaters“ seinem Großvater ein Denkmal – und den meist bitterarmen flämischen Soldaten, die unter französischsprachigen Offizieren als Kanonenfutter in einen ungleichen Krieg geschickt wurden. Wer überlebte, trug sein Trauma ein Leben lang mit sich. Hertmans Großvater fand seine Rettung in der Malerei und kopierte bis zu seinem Tod die großen Klassiker. Hertmans hat ein liebevolles und ergreifendes Porträt eines Mannes geschrieben, der für seinen Enkel ein stiller und verträumter Künstler war, im Krieg jedoch ein tatkräftiger und ausgezeichneter Soldat. Gleichzeitig ist das Buch ein großartiger Familienroman über fünf Generationen, der seinen Ausgang im armen katholisch-flämischen Arbeitermilieu von Gent hat, in dem die Kunst Trost und Zuflucht bietet. Es ist auch ein detailgenaues Zeugnis des Ersten Weltkrieges aus einem belgischen Schützengraben und dem apokalyptischen Grauen des industrialisierten Krieges, das den Belgiern gegenüber der deutschen Übermacht wenig Chancen gab. Ein Widergänger von Remarques „Im Westen nichts Neues“, allerdings aus belgischer Perspektive. Britta Behrendt traf Stefan Hertmans in Amsterdam, wo Hertmans bereits sein nächstes – diesmal philosophisches – Projekt vorbereitet.

Interview Lounge unterstützen und Buch bei Osiander bestellen

Verlagstext:  „Man kann alles, wenn man will!“, sagt der alte Mann zu seinem Enkel und schwingt sich in den Kopfstand. Die wahre Willenskraft seines Großvaters begreift Stefan Hertmans jedoch erst, als er dessen Notizbücher liest, und beschließt, den Roman dieses Lebens zu schreiben. Eindringlich beschwört er eine bitterarme Kindheit in Belgien, zeigt den 13-Jährigen, wie er bei der Arbeit in der Eisengießerei davon träumt, Maler zu werden, und stattdessen im Ersten Weltkrieg an die Front nach Westflandern gerät. Dass der Mann, der dieses Grauen überlebt, fast am Tod seiner großen Liebe zugrunde geht, ist eines der Geheimnisse, denen der Enkel auf die Spur kommt. Mit seiner Hommage an den Großvater ist Hertmans ein grandioser Roman gelungen.

Buch-Tipp von Stefan Hertmans: „Austerlitz“ von W.G. Sebald (Hanser), „The Hare with Amber Eyes“ von Edmund de Waal (Farrar, Straus and  Giroux) und „The Sleepwalkers. How Europe went to War in 1914“ von Christopher Clark (Allan Lane Penguin Books)

Stefan Hertmans: Der Himmel meines Großvaters. Hanser Berlin 2014. 320 Seiten. 21,90 Euro (Übersetzung: Ira Wilhelm)

Homepage des Autors