Ein Ausspruch der Kanzlerin war es, der Ingo Schulze stutzig machte, der Begriff „Marktkonforme Demokratie“, um genau zu sein. Müssten es nicht „Demokratiekonforme Märkte“ sein? Steht der Markt wirklich über der Demokratie oder war der Kanzlerin da nur ein Versprecher entfleucht? Diese Verschiebungen im politischen Wertesystem, die sich mit der Finanzkrise vermehrt in unser Denken eingeschlichen haben, interessieren Schulze. In der zu einem Essay ausgearbeiteten Rede „Unsere schönen neuen Kleider“ legt Schulze mehr von diesen, die Wirklichkeit verdrehenden Begriffsfunden vor. Ein Appell wie von dem Kind im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“, das ausruft: „Aber er hat ja gar nichts an!“. Ingo Schulze hat es wie kein Anderer verstanden, der Wende- und Nachwendezeit ein Gefühl zu geben. Sein Essay und andere Wortmeldungen haben gute Chancen, eine große Debatte anzufachen, die der deutschen Streitkultur nach 20 Jahren Stille alle Ehre machen könnte. Der Autor war auf Einladung der Universität von Amsterdam und dem Deutschland-Institut zu einem Workshop nach Amsterdam eingeladen. Bevor sich Schulze zu einem Besuch im Amsterdamer Stedelijk Museum aufmachte, gewährte er Interview Lounge-Korrespondentin Britta Behrendt ein Interview.

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Verlagstext: „Aber er hat ja gar nichts an!“, ruft das Kind im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern und spricht damit aus, was alle sehen, doch nicht zu äußern wagen. Diese Parabel auf die Bereitschaft des Menschen zum Selbstbetrug stellt Ingo Schulze seiner großen Dresdner Rede voran. Wie nur wenige Schriftsteller und Intellektuelle bezieht Ingo Schulze als politischer Mensch öffentlich Position. In seiner so faktenreichen wie poetischen Analyse des Status quo benennt er die Ursachen von Demokratieverlust und sozialer Polarisierung in unserer von Globalisierung geprägten Gesellschaft. Er zeigt, dass es notwendig ist, sich selbst wieder ernst zu nehmen, die Vereinzelung zu überwinden und die Welt als veränderbar zu begreifen.

Ingo Schulze liest aus „Unsere schönen neuen Kleider“ hier

Buchtipp von Ingo Schulze: „Drei Schritte nach Russland“ von Irina Liebmann (Berlin Verlag)

Ingo Schulze: Unsere schönen neuen Kleider. Gegen die marktkonforme Demokratie – für demokratiekonforme Märkte. Hanser Berlin 2012. 80 Seiten. 10 Euro.